Eine neue Studie der Universität Bonn zeigt, dass Krafttraining die Aktivierung des Proteins BAG3 fördert, das für die Entsorgung beschädigter Zellbestandteile in Muskel- und Nervenzellen entscheidend ist. BAG3 erkennt defekte Zellkomponenten und umschließt sie in sogenannten Autophagosomen, die den „zellulären Müll“ für das Recycling vorbereiten. Diese Funktion ist besonders wichtig, um Muskelschwund und Herzversagen vorzubeugen. Die Erkenntnisse könnten neue Ansätze für Therapien gegen Muskel- und Nervenerkrankungen bieten, wie etwa das Charcot-Marie-Tooth-Syndrom, bei dem Nerven in Armen und Beinen geschädigt werden.
Unter mechanischer Belastung aktiviert das Protein BAG3 eine spezifische Form der Autophagie, die als chaperone-assisted selective autophagy (CASA) bezeichnet wird. Dabei erkennt und bindet BAG3 das durch mechanischen Stress entfaltete Filamin, ein Protein, das durch die Quervernetzung von Aktinfilamenten zur Stabilität der Muskulatur beiträgt. Nach einer mechanischen Belastung wird Filamin in der Regel wieder in seine ursprüngliche Struktur zurückgefaltet. Im Falle einer Schädigung des Filamins wird jedoch der BAG3-Komplex aktiviert, der den Abbau des Filamins über CASA einleitet. Dies geschieht durch die Rekrutierung von Komponenten wie der Ubiquitin-Ligase CHIP sowie den Hitzeschockproteinen Hsp70 und HSPB8, die gemeinsam mit BAG3 das Filamin ubiquitinieren und über die Interaktion mit Synaptopodin 2 (SYNPO2) die Bildung von Autophagosomen induzieren. Diese verschmelzen anschließend mit Lysosomen, wodurch der gesamte Komplex, einschließlich BAG3, abgebaut wird. Neben der Rolle im Abbauprozess beeinflusst BAG3 auch verschiedene Signalwege, wie den Hippo-Signalweg (über YAP/TAZ) und den mTOR-Signalweg, um die Neubildung von Filamin sowie die BAG3-Komplex-Komponenten zu fördern. Auf diese Weise trägt BAG3 wesentlich zur Proteinhomöostase des Filamins und damit zur Aufrechterhaltung der zellulären Integrität in Muskelzellen unter mechanischer Belastung bei (Heinlein, 2023).
Wichtige Erkenntnisse für Training und Rehabilitation
Die Forschung unterstreicht, dass die Aktivierung des BAG3-Systems durch spezifische Trainingsintensitäten möglich ist, was besonders für Spitzensportler und die Rehabilitation von Patienten entscheidend sein könnte. Prof. Sebastian Gehlert von der Universität Hildesheim hebt hervor, dass diese Erkenntnisse Trainingsprogramme für Profisportler optimieren und den Muskelaufbau nach Verletzungen unterstützen können.
BAG3 und Nervenerkrankungen
Interessanterweise spielt das BAG3-System nicht nur eine wichtige Rolle in der Muskulatur, sondern auch in den Nerven. Mutationen in BAG3 führen zu Nervenerkrankungen wie dem Charcot-Marie-Tooth-Syndrom, die zu einem Absterben von Nervenfasern und motorischen Funktionsverlusten in Armen und Beinen führen. Die Entdeckung, dass BAG3 für die Nervengesundheit von zentraler Bedeutung ist, bietet neue Einblicke in mögliche Behandlungsansätze für diese seltenen Erkrankungen.
Anwendungen in der Raumfahrt
Die Forschung hat auch bedeutende Implikationen für die Raumfahrt. Da BAG3 durch mechanische Kräfte aktiviert wird, stellt sich die Frage, wie der Körper auf den Mangel an mechanischer Stimulierung in der Schwerelosigkeit reagiert. Die Wissenschaftler vermuten, dass das Ausbleiben dieser Aktivierung zu einem schnellen Muskelabbau bei Astronauten führen könnte. Prof. Dr. Jörg Höhfeld und sein Team planen daher Experimente an Bord der internationalen Raumstation ISS, um herauszufinden, ob Medikamente helfen könnten, BAG3 auch unter diesen extremen Bedingungen zu aktivieren.
Ausblick: Mögliche neue Therapien
Die Identifizierung von Phosphatasen, die BAG3 aktivieren, eröffnet neue Wege in der Entwicklung von Medikamenten, die Muskel- und Nervenschwäche behandeln könnten. Die Wissenschaftler arbeiten bereits daran, Substanzen zu entwickeln, die diesen Mechanismus im Körper gezielt steuern und beeinflussen.
Quellen:
- Universität Bonn (2024): Krafttraining aktiviert zelluläre Müllentsorgung. Link zum Artikel
- Höhfeld, J. et al. (2024): Force-induced dephosphorylation activates the cochaperone BAG3 to coordinate protein homeostasis and membrane traffic. Current Biology, 34(1), 1–14. DOI: 10.1016/j.cub.2024.07.088
- Heinlein, K. (2023). Die Rolle von Bag3 bei der Mechanosensation und Mechanoprotektion in Podozyten (Doctoral dissertation, Universität zu Köln).