„Definition Of Acute Muscle Injury – What We Have Leart“ – publiziert im Aspetar Sports Medicine Journal – Volume 2, Issue 3, August 2013.
Das Autorentrio A. Del Bueno, N. Maffulli und Ch. Sernia – Spezialisten in diesem Fachgebiet – geben einen griffigen Überblick zu einem heiklen, die Physiotherapie sehr fordernden Verletzungsbild.
Einleitend differenzieren sie den Verletzungshergang in direkte Traumata, meist Konfusionen die häufig in Kontaktsportarten auftreten und indirekte Traumen in Folge von passiver oder aktiver Überdehnung von myofibrillären Strukturen. Die „Passive Überdehnung“ ist durch „overstrechting load“ ohne Muskelkontraktion charakterisiert und die „Aktive“-Form tritt typischerweise mit exzentrischer Muskelarbeit gekoppelt auf.
Das Verletzungsausmaß wird in drei Kategorien unterschieden.
Grad 1: Geringe Beeinträchtigung von Kraft und Funktion in Verbindung mit Schwellung und leichten Schmerzen. Im Ultraschall findet sich perifascial bei ca. 50% der Patienten etwas Flüssigkeit eingelagert – ein ähnliches Bild ergibt sich im MRI. Unterbrechungen im Sinne eines Risses von Muskelfasern sind nicht zu finden.
Grad 2 – partielle Rupturen: bei geringwertigen Verletzungen ist weniger als 1/3 der Fasern gerissen, ca. 1/3 bis 2/3 bei „moderaten“ und mehr als 2/3 bei hochgradigen Ausprägungen. Bestätigt kann das im Ultraschall und MRI werden – es finden sich zudem Hypervaskularisationen und Ödeme im Läsionsbereich – im Muskel oder Muskel-Sehnen-Übergang. Klinisch und funktionell betrachtet kommt es zu deutlichen Einschränkungen in schnellen Bewegungen und hohen Widerständen.
Grad 3 – Totalruptur: komplette Durchtrennung der Muskelfasern mit Hämatom und Retraktion der Muskelenden. Kompletter Verlust der Muskelfunktion (Cave: schwer von Teilrupturen zu unterscheiden wenn der Bluterguss den Defektbereich ausfüllt – hier kann dynamischer Echtzeitultraschall diagnostisch hilfreich sein).
Drei „Muskeltypen“ sind besonders verletzungsanfällig:
- Zweigelenkige Muskeln
- Muskeln in dominant exzentrischer Arbeit
- Muskeln mit einem höheren Fasertyp II Anteil
Epidemiologisch betrachtet sind Hamstrings, Quadriceps, Gastrocnemius, Hüft-Flexoren und Adduktoren, Rückenstrecker und an der oberen Extremität Deltoideus und Muskeln der Rotatorenmanschette am häufigsten betroffen.
Dysbalancen in der Flexibilität von Agonisten und Antagonisten verstärkt das Verletzungsrisiko ebenso wie Vorverletzungen. Kritisch zu betrachten ist in diesem Kontext auch die Rehabilitation an sich – wird nicht konsequent bis zur absoluten Wiederherstellung austherapiert steigt die Gefahr der Retraumatisierung deutlich an. Schaut man in die Sportpraxis so empfiehlt sich in jedem Fall ein sinnvolles Aufwärmprogramm – wie steht doch so treffend im Originaltext: „After warm-up, muscle elongation before failure is increased“! Der Muskel-Sehnenübergang stellt die schwächste Stelle im Gesamtmuskel dar. Plötzliche, in Verbindung mit exzentrischer Muskelarbeit auftretende, hohe Zugkräfte verursachen Verletzungen die sich im Bereich des Epimysiums und der Anbindung des Muskels ans Periost zeigen. Hamstrings-Verletzungen (hier ist die Datenlage recht gut) finden sich eben typischerweise in dieser „Transition-Zone“ – mit stark gefalteter Membram um die Kraftübertragungsfläche zu vergrössern. Biochemisch passiert so einiges, wenns „gekracht“ hat – in der initialen Entzündungsphase werden etwa Histamin, Serotonin, Bradykinin und Prostaglandin freigesetzt, die Membranpermeabilität erhöht, die Durchblutungsrate gesteigert und Schmerzrezeptoren getriggert und es kommt zur Schwellung.
Nach ca. 3-4 Tagen startet die Proliferation von Fibroblasten, Kollagensynthese und Abbau von bestehenden Bindegewebe – eine Situation in der die Strukturen kaum belastbar sind – hier machen aggressives Dehnen und intensive Aktivität wenig Sinn. Erst im weiteren Verlauf, in den ersten Wochen wenn die Fibroblasten-Aktivität sehr hoch ist, wird die Aktivität langsam gesteigert – die Gefahr der Wiederverletzung ist noch präsent. Dann werden die Strukturen zunehmend belastbarer und müssen in der Ausreifungs- oder Remodelling-Phase funktionell beansprucht werden, damit Verklebungen und Narbenkontrakturen vermieden werden können und die Strukturen sich entsprechend ausrichten.
Im Hinblick auf die Behandlung von akuten Muskelverletzungen empfehlen die Autoren folgendes Vorgehen: Grundsätzlich merken sie an, sollten die physiologischen Wundheilungsprozesse unterstützt und nicht behindert werden – vor allem nicht durch zu frühe Aktivität und falschen Ehrgeiz. RICE (rest, ice, compression, elevation) in den ersten 48 Stunden – gefolgt von moderater, vorsichtiger Mobilisation und isometrischen Spannungsübungen in der Proliferationsphase. Aggressives Stretching und Muskelkräftigen sollten vermieden werden. Elektrostimulation und Ultraschall können über die gesamten Heilungsverlauf eingesetzt werden.
In der Remodelierungsphase, beginnend nach 2-3 Wochen, wird die Belastung progressiv gesteigert. Zu Beginn ist bei entzündungsfreiem, schmerzfreiem vollen Bewegungsumfang noch mit Schmerzen nach passiver Dehnung zu rechnen. Mehr und mehr werden entsprechende Spannungsreize gesetzt und das Training gemäss dem Anforderungsprofil spezifischer gestaltet. Die „Back-to-Sports“ – Freigabe sollte erst dann erteilt werden, wenn alle zu erwartenden Aktivitäten schmerzfrei ablaufen und mindestens 90% der Kraftleistung der bilateralen Seite erreicht sind. Präventionsmaßnahmen wie etwas aktives Aufwärmen und spezifisches Stretching vor sportlicher Aktivität sind empfehlenswert.
„Preseason-Screening“ soll vor allem Flexibilität und Kraft im Agonisten-Antagonisten-Vergleich auf Dysbalancen untersuchen und entsprechendes Ausgleichstraining empfehlen.
Abschliessend wird noch ein kritischer Blick auf die von Müller-Wohlfahrt et al. vorgeschlagene Klassifikation geworfen. Die Autoren empfehlen eher die zuvor beschriebene Einteilung, die man ergänzen kann mit der Typisierung der Verletzungslokalisierung – Typ 1 proximal des Muskel-Sehnen-Übergangs, Typ 2 im Muskelbauch und Typ 3 distal des MSÜ. Im Hinblick auf die Muskelanatomie ließe sich noch eine Unterscheidung in intramuskuläre, myofasciale, myofascial-perifasciale, muskulo-tendinöse oder Kombinationsläsionen vornehmen.
Einige der Autoren dieses Artikels haben schon in anderer Konstellation 2012 einen interessanten Beitrag im Springer-Journal „Knee Surgery, Sports Traumatology, Arthroscopy veröffentlicht: „Acute muscle strain injuries: a proposed new classification system“.
Hier findet Ihr den Volltext (englisch): http://www.aspetar.com/journal/upload00/PDF/2013112716114.pdf
In diesem Sinne – viel gewinnbringendes Lesevergnügen wünscht euer Team der spt-education