Core Concepts – Die systematische Stabilisation der Wirbelsäule

„Core Concepts – Understanding the Complexity of the Spinal Stabilizing System in Local and Global Injury Prevention and Treatment“ titelt ein Artikel im „International Journal of Athletic Therapy and Training“ in der November-2014-Ausgabe (pp 28-33). Die Autorengruppe Lindsay Warren, Russell Baker, Alan Nasypany und Jeffrey Seegmiller versucht – wie schon andere zuvor – etwas Ordnung in die Vielschichtigkeit rund um das Thema Rumpfstabilität zu bringen.

Zunächst unterstreichen sie die gemein hin in der Wissenschaft anerkannte Einschätzung, dass der Rumpf eine zentrale Rolle im Sinne einer stabilen Basis für nahezu alle Extremitätenbewegungen im Sport einnimmt. Dementsprechend führt eine unzureichende Ausprägung der Rumpfkraft, Ausdauer, Steifigkeit/Festigkeit (Stiffness), Kontrolle und Koordination – oder eine Kombination dieser Faktoren – zu einem verringerten Leistungs-Output und einem erhöhten Verletzungsrisiko. In weitere Folge wird noch einmal die Frage der Rumpf-Anatomie aufgeworfen. Dabei zitieren die Autorinnen und Autoren eine Arbeitsgruppe um Frank et al. die neben den gängigen Systemeinheiten (passive Strukturen wie Knochen und Bänder der Wirbelsäule,  aktive Strukturen wie Zwerchfell, Beckenboden, Bauch- und Rückenmuskeln, Hüft- und Gesäßmuskulatur, fasciale Anteile und ZNS Kontrolleinheiten) auch zervikale Strukturen miteinrechnen. Dies tun sie, da gerade die Kopfposition und Kontrolle in vielen komplexen Bewegungen eine wichtige Rolle spielt.  Im Hinblick auf die Schlüsselfunktionen zum Erreichen entsprechender Rumpfstabilität rücken in letzter Zeit Elemente und Begrifflichkeiten wie „muskuläre Kapazität“, „motorische Kontrolle“ sowie „Koordination und Steifigkeit“ mehr ins Interesse. Dabei wird unter muskulärer Kapazität die Fähigkeit zur Kraftentwicklung und deren Aufrechterhaltung verstanden.

Bekannterweise werden lokale und globale Muskeln unterschieden. Lokale agieren demnach monosegmental bei limitierter Kraftentwicklungsmöglichkeit eher ausdauernd und die Haltung kontrollierend. Die globale multisegmentale Muskulatur mit Verbindung zum Thorax und zum Becken entwickelt dagegen deutlich mehr Kraft. Ein optimiertes Zusammenspiel dieser Strukturen ist von Bedeutung wenn es um Verletzungsprävention und Schmerzvermeidung geht, wobei Wissenschaftler wie etwa McGill oder Lehmann der Meinung sind, dass der Ausdauerkomponente mehr Bedeutung als der Maximalkraftkomponente zukommt. Interessanterweise haben Forscher die sich mit Schwachstellen in Bewegungsmustern beschäftigen zeigen können, dass vor allem die lastübertragenden Muskeleinheiten (zB. Hüftabduktoren, Hüftaußenrotatoren) und nicht die lokalen bzw. globalen Rumpfmuskeln häufig die „Problemverursacher“ sind und zu Verletzungen oder Rückenschmerzen führen. Zudem finden sich auch Ansteuerungsveränderungen (Timing, Kontrolle) in der Rumpfmuskulatur. Möglicherweise kommt also der Komponente „neuromuskuläre Kontrolle“ eine größere Bedeutung als der reinen Kraftentwicklung zu.

Hier ein Originalzitat aus dem Artikel zur motorischen Kontrolle: „Motor control, an unconscious action, is the process of the CNS´s generation and monitoring of movement commands through feed-forward (e.g. anticipation) and sensory feedback mechanisms (e.g. proprioception, vision).“ 

Für den Rumpf bedeutet dies, unter Berücksichtigung motorischer Lernaspekte, das Ansteuern und Voraktivieren tiefer Rumpfmuskeln und die Integration globaler Muskeleinheiten während progressiv gestalteten statischen und dynamischen Bewegungssituationen hin zu funktionellen Aufgaben. Weiter wird im Artikel angeführt, dass Kokontraktionsübungen, Balance-Training, propriozeptives Training, plyometrische Übungsformen und sportspezifische Skills zur Wiederherstellung und Verbesserung der motorischen Kontrolle von großer Bedeutung sind. Gerade bei Athletinnen zeigt sich ein Defizit in der sensomotorischen Kontrolle und neuromuskulären Balance als Prädiktor für das Auftreten von Rückenschmerzen und Verletzungen der unteren Extremität. Vorgenannte Faktoren führen zu reduzierter segmentaler Stabilität der Wirbelsäule und damit zu dysfunktionalen Belastungen einerseits und zu kompensatorischen Bewegungsmustern mit Auswirkungen auf ganze Bewegungsketten andererseits. Ein Beispiel zu funktionierender motorischer Kontrolle: koordinierte und ausbalancierte Koaktivierung des M.obliquus internus, Transversus abdominis und M.obliquus externus bringen die Thorakolumbale Faszie auf Zug – wie ein Korsett das gekoppelt mit dem intra-abdominellen Druck und Beckenbodenspannungskontrolle spinale Stabilität erzeugt, welche jeder bewussten Bewegung, unbewusst gesteuert, vorausgeht. Deshalb sollten auch klinische Assessments zum Ziel haben durch die Bewegungsanalyse nicht einzelne Strukturen und Funktionsabschnitte zu isolieren, sondern vielmehr ein globales Verständnis von Zusammenhängen und Interaktionen zu generieren.

Zusammenfassend und abschließend noch einmal ein Zitat aus dem Originaltext: „Implementation of assessment and rehabilitation strategies that incorporate motor control and stability dysfunction of the spine has the potential to positively improve patient care across a variety of clinical setting and patient presentation.“

Also – nicht nur isolierte Trainingsinterventionen wie Kraft oder Beweglichkeit sind ein Thema, sondern auch das komplexe Bearbeiten und Verbessern von Bewegungsmustern im Sinne einer optimalen neuromuskulären Kontrolle in unterschiedlichen Bewegungssituationen.

Hier noch der Link zum Abstract des Artikels:

http://journals.humankinetics.com/ijatt-back-issues/ijatt-volume-19-issue-6-november/core-concepts-understanding-the-complexity-of-the-spinal-stabilizing-systems-in-local-and-global-injury-prevention-and-treatment

In diesem Sinne wünschen wir wie immer ein „gewinnbringendes“ Lesevergnügen.