In der Deutsche(n) Zeitschrift für Sportmedizin, 66. Jahrgang, 2/2015 sind wir auf einen Artikel von P. Zimmer, M. Oberste und W. Bloch aufmerksam geworden. In der vorliegenden Zusammenfassung werden auf zellulärer und molekularer Ebene, die Auswirkungen von Sport auf das zentrale Nervensystem geschildert.
Durch bereits bestehende Untersuchungen ist das Potential, welches durch sportliche Aktivität ausgeschöpft werden kann, bekannt. Es verbessert sowohl akut als auch chronisch kognitive Fähigkeiten, optimiert Gedächtnisleistungen und Lernprozesse. Zudem wird sportlicher Aktivität ein Einfluss auf neurodegenerative Erkrankungen durch einen neuroprotektiven Effekt zugeschrieben. Man kann diese Auswirkungen zwar beobachten, aber bislang ist leider nur wenig über die zugrundeliegenden Wirkmechanismen dieser Effekte bekannt. Dies ist der erschwerten Zugänglichkeit des zentralen Nervensystems am lebenden Menschen zu verschulden und Tiermodelle können nur bedingt auf den Menschen übertragen werden.
Bildgebende Untersuchungen haben gezeigt, dass es durch körperliche Aktivität zu strukturellen Anpassungen kommt. So konnte beispielsweise ein positiver Zusammenhang zwischen sportlicher Aktivität und dem Hirnvolumen festgestellt werden. Dabei verändern sich nicht nur die an der Motorik beteiligten Areale des Hirns, sondern auch die nicht direkt beteiligte Bereiche.
In der vorliegenden Arbeit geht es darum, die auf molekularer und zellulärer Ebene auftretenden Anpassungserscheinungen bei akuter und chronischer sportlicher Belastung, zu beschreiben. Insbesondere werden hierbei die Wachstumsfaktoren, die beteiligten Prozesse bei der Generierung eines chronischen anti-entzündlichen Milieus, die Rolle belastungssensitiver Hormone und des Laktats, betrachtet und diskutiert.
Als Voraussetzung für eine intensivere Betrachtung muss bekannt sein, dass Sport einen direkten Einfluss (z.B. auf die Konzentration) hat und zudem eine direkte oder indirekte Beteiligung des zentralen Nervensystems vorliegt.
Wachstumsfaktoren:
Es gibt bereits zahlreiche Untersuchungen, die den Einfluss von akuter sportlicher Belastung auf ZNS-relevante Wachstumsfaktoren beschreiben.
In der vorliegenden Arbeit wird die Beschreibung der Wirkmechanismen auf das ZNS anhand von drei Vertretern fokussiert. Hierzu zählen BDNF (brain-derived neurotrophic factors), VEGF (vascular endothelial growth factor) und IGF-1 (insuline-like growth factor 1).
Für alle drei Vertreter liegen Ergebnisse vor, die beschreiben, dass sie die Neurogenese stimulieren und hierdurch zumindest teilweise einen Beitrag zur Volumenzunahme der Hirnmasse leisten (beispielsweise beim Hippocampus, der in Verbindung mit kognitiver Leistungsfähigkeit steht). In Tierstudien konnte bereits gezeigt werden, dass die Proliferation von Oligodendrozyten (bilden Myelin und stellen somit eine hohe Leitungsgeschwindigkeit sicher) durch körperliche Aktivität stimuliert werden kann.
Anhand solcher Erkenntnisse kann man das Potential von Bewegungstherapie für Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson oder multipler Sklerose erahnen.
Bei Mäusen führte akute körperliche Belastung zu einem drei- bis vierfachen Anstieg der BDNF mRNA Produktion in verschiedenen Bereichen des Hirns. Da die Erfassung zerebraler BDNF-Konzentrationen durch Hirnbiopsien bei Menschen nicht praktikabel sind, belaufen sich die Erforschungen beim Menschen auf BDNF-Serum- oder Plasmakonzentration in der Peripherie nach akuter körperlicher Belastung. Hier wurde gezeigt, dass akute Ausdauerbelastung von mindestens 30 Minuten die Serumkonzentration von BDNF vorübergehend steigert. Bei gesunden Probanden führte eine intensive akute Ausdauerbelastung zu einem deutlich höheren BDNF Anstieg als mittlere oder wenig intensive Belastungen. Bei neurologisch oder psychiatrisch erkrankten Probanden führte schon eine geringe bis mittlere Intensität der Ausdauerbelastung zu einem deutlichen Anstieg der BDNF-Konzentration in der Peripherie, generell fällt der Anstieg der BDNF-Konzentration jedoch geringer aus als bei Gesunden. Dies könnte entweder einer verminderten Bildungsrate von BDNF oder einem erhöhten Verbrauch von BDNF durch ein geschädigtes Nervensystem geschuldet sein. Circa 60 Minuten nach der akuten Ausdauerbelastung erreicht die Konzentration ihren Ursprungswert und unterschreitet diesen sogar im weiteren Verlauf.
Die Studien bezüglich der BDNF-Konzentration nach Kraftbelastung liefern widersprüchliche Ergebnisse.
Betrachtet man eine Untersuchung von Schiffer et al., bei der ein Anstieg der BDNF-Konzentration nach Laktatinfusion gezeigt wurde, kann erahnt werden, dass der belastungsinduzierte Anstieg der BDNF-Konzentration mit der Blutlaktatkonzentration in Zusammenhang steht.
Derzeit wird davon ausgegangen, dass der Konzentrationsanstieg in der Peripherie mit dem im Hirn adäquat ist, da herausgefunden werden konnte, dass ca. 70-80% des zirkulierenden BDNF in der Peripherie aus dem Hirn stammen. Es bleibt jedoch unklar, in welchem Hirnareal die erhöhte Produktion stattfindet. Bei Nagern konnte eine gesteigerte Produktion im Hippocampus und anderen langzeitgedächtnisassoziierten Arealen des Cortex festgestellt werden.
BDNF bindet sich im zentralen Nervensystem an die TrkB-Rezeptoren und kann hiermit funktionelle und strukturelle Anpassung der Hirnplastizität anregen, welche für das Lernen und bilden von Erinnerungen wichtig sind.
Der belastungsinduzierte Anstieg der BDNF-Konzentration führte bei Menschen zu einem positiven Zusammenhang mit der motorischen Gedächtnisleistung, der Dauer des erhöhten BDNF-Levels und der verbalen Gedächtnisleistung.
Weitere Auswirkungen einer erhöhten BDNF-Konzentration könnten durch deren Einfluss auf Stoffwechselprozesse zentralnervöser Neurone, auf die synaptische Erregbarkeit und auf weitere kognitive Funktionen, zu Ergebnissen führen.
Mehrere Studien konnten aufzeigen, dass weder Ausdauertraining noch Krafttraining zu einer Steigerung der basalen peripheren BDNF-Konzentration führen. Im Gegensatz findet man bei stark ausdauertrainierten Personen sogar eine geringere Konzentration als bei normal ausdauertrainierten Personen.
VEGF wird auch als Gefäßwachstumsfaktor beschrieben und wird ähnlich wie BDNF unter körperlicher Belastung vermehrt produziert und kann mit Verbesserungen der Gedächtnisleistungen einhergehen. Eine aktuelle Studie konnte aufzeigen, das VEGF keinen Einfluss auf das räumliche Gedächtnis hat. Eine medikamentöse Einnahme innerhalb einer Tumortherapie führte vermutlich sogar zu kognitiven Defiziten.
Sowohl Muskulatur, Lunge und auch das Herz und die Leber werden als belastungssensitive periphere VEGF Quelle genannt. Es ist bekannt, das VEGF die Blut-Hirnschranke nicht übertreten kann. Dies wirft allerdings die Frage auf, ob sich die periphere Konzentration und die zentrale Konzentration repräsentieren. Im Tiermodell fand man vergleichbare Konzentrationsänderungen unter Belastung in beiden Bereichen. Auch bei VEGF scheint ein Dosis-Wirk-Mechanismus zu greifen, denn eine höhere akute Ausdauerbelastungsintensität führte zu einem höheren VEGF-Serumlevel.
Als dritter Wachstumsfaktor, welcher durch körperliche Aktivität beeinflussbar ist, ist der IGF-1. Auch er wirkt sich positiv auf die Neurogenese aus. Auch hier konnte in Tiermodellen nachgewiesen werden, dass es einen Zusammenhang zwischen der peripheren und der zentralen Zunahme des IGF-1 (unter körperlicher Belastung) kommt.
In einer weiteren Studie zeigten Yu et al., dass bereits ein 15 tätiges Ausdauertraining bei Mäusen sowohl akut als auch chronisch zu einem signifikanten IGF-1 Anstieg führte. Dies wiederum geht mit einer erhöhten Proliferation der Gyrus dentatus Region im Hippocampus, einher. Die Produktion von IGF-1 scheint auch belastungsabhängig zu sein, so führte eine intensive Ausdauerbelastung zu deutlichen Anstiegen, moderate oder niedrige Belastung jedoch kaum zu Anstiegen der IGF-1-Serumkonzentration in der Peripherie.
Bei intensivem und moderatem Krafttraining kam es ebenfalls zu einem Anstieg der Konzentration, welche allerdings 20 Minuten nach der Belastung unter den Ausgangswert schritt.
Es lässt sich also konstatieren, dass die sportliche Belastung zu neuronal wirksame Wachstumsfaktoren beeinflussen kann. Vor allem die Hippocampusformation scheint von der Neurogenese zu profitieren. Diese Region ist auch für Gedächtnisleistungen mitverantwortlich.
Dopamin:
Die Funktionalität der präfrontalen Kortexfunktionen und der motorischen Eigenschaften ist stark beeinflusst durch die Ausschüttung von Dopamin. Die Studienergebnisse bei Tiermodellen weisen darauf hin, dass körperliche Aktivität zu einer verbesserten Regeneration des nigrostriatalen, dopaminergen Systems führt.
Durch sportliche Betätigung wird gemäß mehreren Studien die Produktion von Tyrosinhydroxylase verstärkt, welches als Schlüsselenzym für die Dopaminsynthese gilt. Pieramica et al. konnten aufzeigen, dass ein Mix aus kognitiver Beanspruchung und aerober Belastung zu einer verbesserten kognitiven Leistungsfähigkeit führten und sich darüber hinaus die kortikale Vernetzung verändert. Träger der Dopamin abbauenden Gene DRD3 und COMT profitierten besonders stark von der oben genannten Belastungskombination.
Laktat:
Laktat dient als Energielieferant für das Hirngewebe. Es wird sogar selbst im Hirngewebe durch sogenannte Astrozyten gebildet. Sowohl Nervenzellen als auch Oligodendrozyten nutzen das Laktat zur Energieversorgung. Obwohl Laktat schon lang als ein zentrales Stoffwechselprodukt bekannt ist, wird erst seit kurzer Zeit seine Bedeutung für das ZNS diskutiert. In Studien konnte gezeigt werden, dass Laktat die Blut-Hirnschranke überwinden kann und die Laktatkonzentration im Blut mit einer Veränderung der Aufmerksamkeit zusammenhängt. In einer weiteren Studie konnte aufgezeigt werden, dass ein anaerobes Training mit älteren Frauen bei einer ungefähren Laktatkonzentration von 3,5 mmol/l zu einer Steigerung der kognitiven Fähigkeiten führte. Deutlich niedrigere und auch höhere Konzentrationen führten nicht zu signifikanten Ergebnissen. Dies wird damit begründet, dass es bei einer Konzentration von ca. 3,5 mmol/l zu einer Aufnahme des Laktats ins Gehirn kommt, welches für eine verbesserte Versorgung des Hirngewebes führt. Eine höhere Blutlaktatkonzentration könnte bedingt durch eine hirnleistungsmindernde Azidose erklärt werden.
Inflammation:
Windham et al. konnten aufzeigen, dass eine hohe Konzentration an Entzündungsmediatoren einen negativen Zusammenhang zur kognitiven Leistungsfähigkeit bildet. Durch sportliche Belastung wird ein kurzfristig systemischer Entzündungsreiz gesetzt, welcher zu eine Ausschüttung von pro-inflammatorischen Zytokinen führt. Mittelfristig gesehen allerdings führt dies zu einem systematisch anti-inflammatorischen Milieu, da die Produktion von Interleukin-1-Rezeptorantagonisten, TNF-alpha-Rezeptoren und Interleukin-10 zunimmt. Langfristig gesehen kann man hieran erklären, warum Sport einen präventiven anti-inflammatorischen Effekt hat.
Ausblick:
Sowohl akute als auch chronische Belastungsreize können sich positiv auf das zentrale Nervensystem auswirken. Es treten neben einem neuroprotektiven Effekt auch positive Einflüsse auf die Hirnleistungsfähigkeit auf. Es fehlt jedoch an Humanstudien um weitere Ansatzweisen zu erklären und die Ergebnisse der Tierstudien einordnen zu können.
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