Hilfe zur Selbsthilfe

Wie unterstütze ich meinen Patienten in der physiotherapeutischen Rehabilitation?

-Ansätze zur Förderung eines aktiven Lebensstils-

Unter dem Titel „Die Förderung eines aktiven Lebensstils und der Ädharenz im physiotherapeutischen Prozess“ veröffentlichten Thorsten Weidig und Ines Pfeffer einen interessanten Artikel in der Zeitschrift Sportphysio 2018; 06, Thieme Verlag.

Die zur Grunde liegende Frage:
Wie unterstütze ich meinen Patienten in der physiotherapeutischen Rehabilitation?

Bewegung ist gut für unsere Gesundheit! Dennoch wird körperliche Aktivität häufig unregelmäßig und zu wenig durchgeführt. 50% der deutschen Erwachsenen treiben weniger als eine Stunde Sport pro Woche. Und welcher Therapeut kennt es nicht, dass der Patient zur Therapie erscheint, aber die Heimübungen wieder nicht durchgeführt hat. Entschuldigungen dafür werden schnell gefunden und sind sowohl motivational wie auch organisatorisch begründet:
–       „leider nicht geschafft“
–       „zu anstrengend“
–       „schmerzhaft“
–       „keine Zeit“
–       „finanzielle Probleme“

Woher kommt nun diese Diskrepanz zwischen Wissen (Sport ist gut für meine Gesundheit) und dem Verhalten? Festzuhalten ist, dass dieses Wissen zwar häufig ein Einstiegsgrund zur sportlichen Aktivität ist, dieser Antrieb aber meist nicht ausreicht um langfristig dabeizubleiben. Häufig liegt es daran, dass kurzfristig nur wenig positive Veränderungen der körperlichen Fitness stattfinden. Dazu bräuchten wir einen längeren Zeitraum, in dem regelmäßig körperliche Aktivität stattfindet.

Kommt es von Seiten der Patienten nicht zu einer konsequenten Umsetzung der Trainings-empfehlungen, so kann es dazu führen, dass der Therapeut seine Behandlung sogar fälschlicherweise als nicht effektiv bewertet und als Folge dessen eventuell sogar sein (eigentlich korrektes) Programm verändert.

Welche Möglichkeiten und Lösungsansätze habe ich als Sport-Physiotherapeut das Verhalten meiner Patienten zu fördern? Hierbei spielen einige psychologische Faktoren eine wichtige Rolle, insbesondere die Selbstwirksamkeitserwartung des Patienten. Der Patient soll eine aktive Rolle übernehmen, den Planungs- und Entscheidungsprozess mitbestimmen und in seine Ressourcen und seine Handlungsfähigkeit vertrauen.

Damit dies stattfinden kann, muss eine vertrauensvolle Beziehung und eine gute Kommunikation zwischen Patient und Therapeut gegeben sein. Der Physiotherapeut nimmt eine unterstützende Rolle ein und bestärkt die Selbstwirksamkeit des Patienten.

Wie bestärke ich die Selbstwirksamkeit und die Motivation des Patienten?
Jeder Mensch verfolgt bestimmte Grundbedürfnisse. Hierzu gehören die Selbstbestimmtheit, soziale Einbindung und ein Kompetenzerleben (Sie wollen selbst bestimmen, was sie tun und wie sie es tun, wollen nicht fremd gesteuert (heteronom), sondern selbst gesteuert (autonom) handeln). Diese Bedürfnisse werden durch verschiedene Motive versorgt. Das Motiv nach Leistung, Geselligkeit, Ablenkung, Gesundheit und Fitness usw.

Wenn ich als Therapeut meinen Patienten darin bekräftigen möchte ein Bewegungsprogramm auszuführen, macht es Sinn, diese Motive und Bedürfnisse des Menschen zu berücksichtigen. Denn dies vergrößert die Chance, dass der Patient auch langfristig das Bewegungsangebot durchführt.

Als diagnostisches Mittel um die entsprechenden Motive herauszufinden dient der Fragebogen Berner Motiv- und Zielinventar (BMZI). Dieser Fragebogen ist schnell durchführbar und leicht zu integrieren. Das Sportangebot wird anschließend so gewählt, dass die relevanten Motive eine Rolle spielen (z.B. Ästhetik, Aussehen, Wettkampf, Kontakte, Ablenkung, Freude).

Es gibt zweckgebundene und tätigkeitsgebundene Motive. Zweckgebunden verfolgt meist ein bestimmtes Ziel (z.B. das Erreichen eines Wunschgewichts), wohingegen die tätigkeitsgebundenen Motive den Spaß an der Ausübung der Tätigkeit in den Vordergrund stellen (z.B. Spaß an einer ästhetischen Bewegung).

Zielsetzungen:
Ein weiterer unterstützender Prozess, den der Physiotherapeut anregen kann, ist das Helfen bei der Entwicklung von individuellen Zielen und der Bewusstmachung der eigenen Bedürfnisse. Dabei kann der Therapeut durch gezielte Fragen positive Emotionen und Bilder bei dem Patienten wecken:
– Welche persönliche Ziele könnten Sie durch mehr körperliche Aktivität erreichen?
– Welche Vorteile würden Sie für sich sehen, wenn Sie körperlich
  aktiver wären/Ihre Übungen regelmäßig machen würden?
– Was können Sie für sich oder andere gewinnen, wenn Sie regelmäßig
  körperlich aktiv wären/Ihre physiotherapeutischen Übungen machen würden?
– Wie wirkt sich fehlende Bewegung auf Ihr physisches und psychisches Befinden aus?
– Wie wirkt sich der Mangel an Bewegung auf Personen aus, die Ihnen wichtig sind
  (z.B. Partner, Kinder, Enkelkinder)?
– Was wissen Sie über den Einfluss von Bewegungsmangel auf Ihre Gesundheit
  bzw. auf die Entstehung Ihrer Erkrankung?
– Wie würde Ihr Leben ohne Bewegungsmangel/mit regelmäßigem Üben aussehen?

Durch das Beantworten dieser Fragen wird die Aufmerksamkeit der Patienten auf persönlich bedeutsame Konsequenzen ihres Handelns gelegt.

Zielführende Fragen sind so gestaltet, dass eine konkrete Antwort gebildet werden kann:
– Was will ich durch regelmäßige körperliche Aktivität erreichen
  (z.B. Schmerzlinderung, gute Fitness, den Alltag bewältigen können)?
– Was will ich selbst dafür tun, um meine Ziele zu erreichen?
– Was genau soll bis wann erreicht werden?

Durch Hinzunahme der SMART-Regel (spezifisch, messbar, akzeptiert, realisierbar, terminiert) und die Unterteilung in kurz-, mittel- und langfristigen Zielen, werden die Bedürfnisse durch das Erreichen konkreter Ziele kontrollierbar und erreichbar.

Diese Überlegungen helfen dabei, ein geplantes Verhalten aufrecht zu erhalten und in eine Gewohnheit bzw. in einen Lebensstil übergehen und stabilisieren zu lassen.

Welche Barrieren stehen im Weg und sollten berücksichtigt werden?
Zu den Barrieren gehören sowohl interne (persönliche) als externe (Umwelt) Merkmale wie der „innere Schweinhund“, Trägheit, Bequemlichkeit, Zeitproblematik, Organisationsschwierigkeiten, Kosten usw.

Solchen Barrieren kann der Physiotherapeut versuchen entgegenzuwirken. Zum Beispiel indem ein Vertrag aufgesetzt wird, der konkrete Angaben beinhaltet (Häufigkeit, Zeitpunkt, Dauer, Übungen) und vom Patienten unterschrieben wird.

Eine konkrete Planung sollte sich an der 3pw-Regel orientieren (passend, praktikabel, präzise, wirksam).
– passend: Übungen passen zu den Motiven und Bedürfnissen
– praktikabel: organisatorisch, zeitlich und finanziell umsetzbar
– präzise: Wann? Wie? Wo? Was?
– wirksam: förderlich zur Erreichung meiner Ziele

Soziale Unterstützung:
Weitere Unterstützung kann der Patient durch sein soziales Umfeld bekommen durch Einbindung von Familie, Freunde oder Kollegen. Schaffe ich es dann noch meine Bewegungsprogramme an spezifische Situationen zu koppeln, so erfolgt rasch eine Implementierung in den Alltag.

Bsp.: „Ich beabsichtige immer donnerstags direkt nach der Arbeit um 17:00 Uhr im Park neben dem Büro 30 Minuten mit meiner Kollegin zu joggen.“

Der Notfallplan:
Entwicklung eines „Notfallplan“ für den Fall, dass etwas dazwischenkommt, oder die Motivation verloren geht:
– Ziele nochmals vergegenwärtigen (z.B. Schmerzlinderung) und sich vor Augen führen,
  wie gut das Training tut (z.B. stolz auf eigene Leistung, wohlfühlen)
– Zeitmanagement-Techniken nutzen (z.B. Sportaktivität als Termin in Kalender eintragen,
  im Sinne einer Routine zum gleichen Zeitpunkt und am selben Ort)
– erste Erfolge bei der Verhaltensänderung bewusst machen
– akzeptieren, dass Rückfälle in die Inaktivität auftreten können und dazugehören
– sich für Aktivitätsfortschritte belohnen
– mögliche Kosten (z.B. Teilnahmegebühr, hoher organisatorischer Aufwand) dem
  hohen Nutzen gegenüberstellen
– Personen aus dem sozialen Umfeld als Vorbild nehmen bzw. um Unterstützung bitten

Wie in jedem Trainingsprozess macht es Sinn eine Art Monitoring durchzuführen und den Fortschritt zu überprüfen und dem Patienten vor Augen zu führen.

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