Der Beckenboden wird von darauf spezialisierten PhysiotherapeutInnen in der Regel sehr aufwändig mit verschiedenen “Hands-on-Techniken” (u.a.Triggerpunkte, viszerale/fasziale Techniken), Biofeedbacksystemen und Elektrostimulation, sowie instruierten Bildern zur Wahrnehmung der verborgenen Region behandelt.
Der Begriff “Training” wird allerdings im Bereich des Beckenbodens selten umfassend und spezifisch angewendet. Trotz der sehr uneinheitlichen Trainingsempfehlungen, resultierend aus verschiedensten Studiendesigns, handelt es sich bei der Intervention “Beckenbodentraining” grundsätzlich um eine 1A-Level-Empfehlung – noch vor Operationen und Medikamenten.
Es lohnt sich also, genauer hinzusehen:
Der Beckenboden, als faszial-muskulärer Abschluss des Rumpfes nach unten, präsentiert sich als ein zur Körperlängsachse quergestelltes Diaphragma, welches am nur sehr bedingt beweglichen knöchernen Beckenrahmen ansetzt. Außer der Steißbeinbewegung kann man aus anatomischen Gründen keine Gelenksbewegung über die Muskelaktivierung erwarten. Das erschwert natürlich die 1:1-Übertragung der Trainingsprinzipien auf den Beckenboden. Außerdem ist diese Muskulatur geschlechtsspezifisch sehr differenziert zu sehen. Der Anteil an Bindegewebe ist bei der Frau wesentlich höher und wird über die hormonellen Schwankungen in den verschiedenen Lebensabschnitten mit veränderten Aufgaben konfrontiert. Die Herausforderung des Beckenbodens mit seinen kontraktilen und stabilisierenden Elementen besteht in erster Linie darin, die Organe an ihrem Platz zu halten, Kontinenz zu sichern, aber auch exzentrisch nachgebend bei der Miktion, der Defäkation und der vaginalen Geburt des Kindes zu wirken. Jüngere, weltweite Untersuchungen zeigen, dass Beckenbodentraining wirkt. Die Ergebnisse in Bezug auf Kraft und Funktion lassen sich mit validen Testverfahren apparativ, aber auch ganz einfach manuell intravaginal (etwa mittels dem PERFect-Schema nach J. Laycock ), evaluieren. Als Voraussetzung um überhaupt strukturelle Veränderungen am Muskelgewebe zu bekommen, werden hoch-intensive Trainingsinstruktionen empfohlen, welche über mindestens 3 Monate durchgeführt werden müssen. (Morkved S./Bo K. 2009; Hay-Smith J./Morkved S. Fairbrother KA. 2012; Price N. / Dawood R. / Jackson SR. 2012).
Selbstverständlich wirkt auch am Beckenboden bei Untrainierten jeder noch so geringe Trainingsreiz, allerdings lassen sich durch diese niedrig dosierten Interventionen keine Muskelquerschnittsvergrößerungen erwarten. Hoch intensives Muskeltraining am Beckenboden wirkt aber klinisch gesehen bei allen Senkungsproblemen (Hoff Braekken et al. 2009; 2010; Stüpp et al. 2010). Als weiteres klinisches Beispiel sei an dieser Stelle die bei einem sehr hohen Prozentsatz vorkommende weibliche Belastungsinkontinenz erwähnt: Aufgrund der fehlenden reflektorischen Schnellkraft kommt es nur zu einem unzureichenden Verschluss der Harnröhre gegen den intraabdominellen Druckanstieg. Die Reize, welche in der allgemeinen Praxis am Beckenboden durch Interventionen im mittleren Intensitätsniveau gesetzt werden, sind aus trainingstherapeutischer Sicht hier wenig spezifisch. Das hat in den meisten Fällen damit zu tun, dass der Harnverlust, Ausdruck fehlender Schnellkraft darstellt. Dies hält viele TherapeutInnen im Bereich der Beckenbodenarbeit ab, den Reiz spezifisch zu instruieren, indem man beispielsweise Frauen mit diesen Problemstellungen nicht am großen Gymnastikball hüpfen oder auf den Ganzkörpervibrationsplatten trainieren lässt. Pilotstudien an der FH Bern (Bhend J. et al. 2007) zeigen bei gesunden Probandinnen allerdings positive Ergebnisse in Bezug auf die Aktivierung der Schnellkraftfasern mittels Rüttelplatten. Nachdem der Beckenboden, in der Literatur kontrovers diskutiert, zwischen 85 – 70 % ST-Fasern, aber nur 15 – 30 % FT-Fasern besitzt, lohnt es sich in jedem Fall, diesen von Natur aus schon kleinen Prozentsatz an FT-Fasern trainingstherapeutisch zu erhalten.
Literatur:
Price N/Dawood R/Jackson SR. 2012: Pelvic floor exercise for urinary incontinence (syst. Literature review)
Hay-Smith J./ Morkved S./ Fairbrother KA.: PFMT for prevention and treatment of urinary and faecal incontinence in antenatal and postnatal women (syst. Review 2008 – Cochrane database – Update 2012)
Morkved S./ Bo K.: European Urology Review 2009 – Cochrane database): Evidence for PFMT during pregnancy and after childbirth
Hoff Braekken et al (2009): Can pelvic floor muscle training reverse pelvic organ prolapse and reduce prolapse symptoms? An assessor-blinded RCT,
Hoff Braekken et al (2010): Morphological Changes After Pelvic Floor Muscle Training Measured by 3-Dimensional Ultrasonography (RCT)
Stüpp et al (2010): Pelvic floor muscle training for treatment of pelvic organ prolapse: an assessor-blinded RCT