Mentale Einflussfaktoren auf Heilungsprozesse Teil2

Begründet auf diesen wissenschaftlichen Ergebnissen und Theorien entwarfen Levleva und Orlick die nun folgende Studie.

Methode:

Levleva und Orlick wollten weitere Einblicke in die psychologischen Faktoren von Heilung bringen und untersuchten deshalb eine kleine Patientengruppe im Hinblick auf folgende psychologische Faktoren:

Einstellung
Perspektive
Stresslevel
Soziale Unterstützung
Selbstgespräche
Zielsetzung
Mentale Vorstellungskraft 

Hierzu wurden Patienten mit zwei verschiedenen Krankheitsbildern berücksichtigt (Knieverletzung am medialen Kollateralband Grad II & Fußgelenksverletzungen- Verstauchungen Grad II). Laut sportmedizinischen Spezialisten und Physiotherapeuten sollten diese beiden Krankheitsbilder in ihrem Heilungsverlauf gut vergleichbar sein.

Die Patienten mussten folgende Voraussetzungen erfüllen um an der Studie teilzunehmen:

1. Sie mussten wieder genesen sein.
2. Sie mussten während der Verletzung nur wenig aktiv gewesen und nun wieder an ihrem persönlichen Aktivitätslevel angekommen sein.
3.Sie mussten in physiotherapeutischer Behandlung gewesen sein.

39 Personen konnten als Teilnehmer rekrutiert werden. Ihnen wurde das Manual Sports Injury Survey zugeschickt. 32 der Personen antworteten mit der Rücksendung des ausgefüllten Fragebogens und wurden somit in der Auswertung berücksichtigt.

Die Studienteilnehmer mussten wie oben bereits erwähnt wieder genesen sein. Festgelegt wurde ein Wert von 85%- 90% der früheren Funktion. Das Erreichen dieser Grenze wurde durch Selbsteinschätzung des Betroffenen, aber auch durch den Physiotherapeuten bestätigt, der folgende Beurteilungsmethoden einbezog:

Kraftwerte
Range of Motion (ROM)
Grad des Druckschmerzes (im Vergleich zur gesunden Seite) 

Die Athleten wurden anschließend in drei Gruppen unterteilt:

1. Schnelle Heilung
2. Mittelschnelle Heilung
3. Langsame Heilung

Diese Gruppen wurden dann hinsichtlich ihrer Antworten aus dem Fragebogen untereinander verglichen.

Ergebnisse:

Von den 32 zurückgekommenen Fragebögen wurden 14 von Frauen und 18 von Männern ausgefüllt, 20 hatten eine Fußverletzung und 12 eine Knieverletzung.

Die Zeit des Heilungsverlaufs von Verletzung bis zur Genesung lagen zwischen 4 und 20 Wochen. Die Gruppe der schnell geheilten Patienten brauchte fünf Wochen oder weniger (19%). Die mittelschnell geheilten Studienteilnehmer hatten eine Genesungszeit zwischen fünf und zwölf Wochen (50%). Die langsam Geheilten brauchten über zwölf Wochen für ihre Wiederherstellung (31%).

Die wichtigsten Variablen aus dem Fragebogen wurden wie folgt kalkuliert.

Einstellung:
Gefühle darüber, wie wichtig der Sport für den Befragten ist.
Wie störend die Verletzung für ihn war.
Die Entschlossenheit so schnell wie möglich in den Sport zurückzukehren.

Perspektive:
Die Perspektive direkt nach der Verletzung.
Die Perspektive in der sportmedizinischen Visite.
Die Perspektive während der physiotherapeutischen Behandlung.
Die Perspektive zum Ende der Rehabilitationsphase.

Stresslevel:
Der Unterschied zwischen dem erfahrenen Stress und der wahrgenommenen Stresskontrolle durch den Patienten.

Selbstgespräche:
Häufigkeit der Selbstgespräche.
Vergleich der Häufigkeit von positiven zu negativen Selbstgesprächen. 

Zielsetzung:
Der Umfang von Kurz- & Langzeitzielen.
Ziele für den Wiedereinstieg in den Sport. 

Mentale Vorstellungskraft:
Der Umfang von heilenden Vorstellungsbildern.

Zielsetzung, positive Selbstgespräche und heilende Vorstellungen waren die Variablen, die am stärksten mit einen schnellen Rehabilitation assoziiert wurden. Diese drei Faktoren werden auch sehr häufig und gewinnbringend in der Leistungsverbesserung von Sportlern eingesetzt. Auch die anderen Faktoren zeigen einen beeinflussenden Trend auf den Heilungsverlauf, sie kommen allerdings nicht auf signifikante Werte.

Zukünftige Untersuchungen sollten auch während der Rehabilitationsphase stattfinden.

Neben den quantitativen Daten wurden auch qualitativ Daten mittels Freitextantworten erhoben. Dazu wurden offene Fragen gestellt.

In den Antworten der qualitativen Daten wurden signifikante Unterschiede zwischen schnellen und langsamen Genesungs-Gruppen gefunden.

Die Antworten der schnellen Gruppe waren durchweg positiver formuliert und deutliche mehr ausgearbeitet als die der langsamen Gruppe, welche meist negative Formulierungen verwendete. Die positiven Antworten zeigten eine positive Einstellung und Perspektive, sie waren fokussiert auf die positiven Aspekte der Rehabilitation. Die negativen Antworten der langsamen Gruppe zeigten negative Einstellungen und Pessimismus, außerdem fokussierten sie die negativen Aspekte der Verletzung.

Manche Antworten der langsamen Gruppe zeigten für die Betroffenen sogar einen Gewinn durch die Verletzung wie z.B. das Kümmern der Angehörigen, erhöhte Aufmerksamkeit, weniger Anfragen und weniger Druck. 

Die schnelle und langsame Gruppe unterschieden sich auch hinsichtlich ihrer Antworten in Bezug auf die Beschreibung. Während die schnelle Gruppe eher internale Lösungen für den Heilungsverlauf verantwortlich machte, fokussierten sich die Teilnehmer der langsamen Gruppe häufiger auf externe Faktoren.
Ein Beispiel: Auf die Frage „What, if anything, do you think helped you the most to get better?“ antworteten die Patienten der schnellen Gruppe mit internalen Faktoren wie kreative Vorstellungsmethoden, Entschlossenheit, Sehnsucht, Einstellung oder Zielsetzung und nahmen damit persönlich Verantwortung für ihre Genesung. Die langsame Gruppe machte äußere Faktoren wie den Physiotherapeuten oder anderes verantwortlich.

Interessant ist auch, dass die Patienten aus der schnellen Gruppe auf die Frage: „What, if anything, do you think hindered you the most from getting better?“, kaum eingingen und oft gar nicht antworteten.

Insgesamt waren die Antworten der schnellen Gruppe eher so formuliert, als dass sie die Kontrolle über den Heilungsvorgang selbst in der Hand haben, wohingegen die langsame Gruppe oft so antwortete, als wäre die Heilung etwas, was von außen unkontrollierbar mit dem Patienten passiert.

Auch bezüglich der Stresserfahrung wurden offene Fragen an die Studienteilnehmer gestellt. Auf die Fragen: „What was the level of stress in your life during your recovery period?“ und „Overall, how much control did you feel you had over the stress?“ antworteten die Teilnehmer sehr individuell, was vorliegende Studien (wie z.B. die von Lazarus & Folkman, 1984) bestätigt. Es geht vielmehr um das Vertrauen des Sportlers den Stress kontrollieren zu können, als über den tatsächlichen Stresslevel.

 Zum Thema Selbstgespräche wurden den Teilnehmern drei Fragen gestellt:
„Did you ever find you were talking to yourself?“
„What proportion was positiv and what was negative?“
„What did you usually say to yourself?“
In dieser Rubrik fanden sich die größten Unterschiede zwischen den Gruppen schnell und langsam. Während die schnelle Gruppe hoch positive Selbstgespräche führte und sich selbst ermutigte, so formulierte die langsame Gruppe ihre Selbstgespräche oft deprimierend, vorwurfsvoll und sich selbst beschimpfend.

Hier ein paar Beispiele der Teilnehmer:

Positive self-talk:

  • I would have a conversation with my other self and ask myself what it made me realize about me and how to make the most of what could be done.
  • I can do anything.
  • When I had my velcro cast, I took it off and tried to walk. I told myself „I can do it“ and that I can beat the odds and recover sooner than normal.
  • I want to go spring skiing.
  • I have to work to get my leg as strong as the other one.
  • It’s feeling pretty good.
  • I do not hurt (i.e., my ankle does not hurt).

Negative self-talk:

  • Talked to myself about how frustrated I was, and that it would probably take forever to get better.
  • What a stupid thing to do.
  • Dumb mistake.
  • Stupid fool!
  • Stupid injury.
  • Why me?

Betrachten man in den obenstehenden Aussagen, die Einstellung der Kontrollmöglichkeit, die Zielsetzung und Zukunftsperspektiven, sowie den Fokus auf Verbesserung oder Verletzung, so erkennt man die großen Unterschiede zwischen den Gruppen. Während sich die Gruppe mit negativen Selbstgesprächen ständig um die Verletzung dreht, füllen sich die positiven Selbstgespräche der schnellen Gruppe mit der Wiederausübung des Sports, der schnellen Heilung und anderen schönen Ereignissen in der Zukunft.

Auch bezüglich der Fragen nach der Angst vor Wiederverletzungen gab es Gruppenunterschiede. „Did you have any thoughts, imaginings, or worries about reinjury? Please explain.“ Die Antworten der schnellen Gruppe beliefen sich auf den Fokus in Zukunft etwas vorsichtiger zu sein, die der langsamen Gruppe fokussierten sich auf die negativen Auswirkungen, die eine Wiederverletzung haben würde.

Die Fragen „Did you set any goals for recovery?“, „Did you set any long-term goals for recovery?“ und „Did you set any goals about your return to sports? If so, to what extent?“ wurden von den Teilnehmern unterschiedlich beantwortet. Die schnelle Gruppe steckte sich viel mehr Ziele als die langsame Gruppe. Häufig ist eine Zielsetzung auch mit einer Vorstellung verbunden, weshalb man annehmen könnte, dass die Menschen, die sich Ziele setzen, auch eine bessere Vorstellungskraft haben (Syer & Connelly, 1984). Sobald sich jemand ein Ziel gesetzt hat, wird er von Zeit zu Zeit darüber nachdenken, wie es sein wird, dieses Ziel zu erreichen. Diese Bilder ermutigen den Patienten. Auch Tagesziele sollten neben den Langfristigen Zielen strukturiert formuliert sein, damit durch das Erreichen von Teilzielen Motivation aufgebaut werden kann, gerade im Rehaprozess.

Die Bedeutung von Vorstellungsbildern und deren Einfluss auf den Heilungsprozess wurden qualitativ durch folgende Fragen evaluiert:
„Did you do any healing imagery, where you tried to see or feel the body parts heal?“
„Did you do any imagery during physiotherapy, of physiotherapy promoting recovery, seeing or feeling recovery?“
„Did you do any imagery trying to imagine yourself totally recovered and performing your sport well again?“
„Did you ever replay your injury? If yes, how often?“
Diese Fragen wurden ergänzt durch die Bitte um weitere Beschreibungen wie die Häufigkeit, den Inhalt, die Perspektive (Innen oder Außen) sowie die Kontrollierbarkeit der Vorstellung.

Der Einsatz von heilenden Vorstellungen geht einher mit einer verkürzten Genesungszeit. Dies war allerdings nur dann der Fall, wenn der Athlet nicht gleichzeitig häufig den Unfallhergang visualisierte. Dies zeigt, dass sich die beiden Vorstellungen gegenseitig beeinflussen.

Die Studienteilnehmer wurden gefragt in wie weit sie etwas aus der Verletzung lernen konnten oder welchen Nutzen sie daraus ziehen konnten. Die Teilnehmer, die die Fragen positiv beantworten konnten, schrieben oft, dass sie aus der Situation etwas gelernt haben und die Verletzung für sie eine Möglichkeit dargestellt hat oder Nutzen hervorbrachte. Es ging einher mit einer schnelleren Heilung, denn sie machten das Beste aus ihrer schwierigen Situation.

Zusammenfassung und praktische Hinweise:

Die Studie zeigt insgesamt erneut die Relevanz psychologischer Aspekte im Heilungsprozess auf. Vor allem die Durchführung von positiven Selbstgesprächen, Zielsetzungen und die Visualisierung von Heilungsverläufen konnten mit einer schnelleren Heilung in Verbindung gebracht werden. Die Studie konnte außerdem bestätigen, dass die Möglichkeit des Patienten, durch psychologische Aspekte aktiv in den Heilungsprozess einzugreifen, einen weiteren Faktor darstellt, der die Genesung des Athleten begünstigt.

Für die praktische Anwendung können folgende hilfreichen Empfehlungen ausgesprochen werden.

Für die verletzte Person:

  • Setze dir kurzfristige-Tagesziele und auch langfristige Ziele!
  • Entwickle einen Physiotherapieplan und bereite dich mental auf einen optimalen Heilungsverlauf vor!
  • Visualisiere deine Heilung und wie du deine Ziele erreichst!
  • Wenn du über deine Verletzung sprichst, konzentriere dich auf die positiven Dinge deiner Regeneration
  • Sage dir selbst positive Finge bezüglich deines Rehabilitationsprozesses und deiner zukünftigen Leistungsfähigkeit!
  • Achte darauf, negative Gedanken durch positive zu ersetzen!
  • Sei nett zu dir selbst, verzeihe dir Fehler und ermutige dich!
  • Führe täglich imagery healing durch!
  • Lerne so viel wie möglich über die physischen Komponenten deiner Heilung und integriere sie in dein imagery healing!
  • Achte darauf, dass du deine Verletzung nicht mental durchspielst!

Für die Unterstützer:

  • Unterstütze die Fähigkeit des Betroffenen sich selbst zu heilen!
  • Ermutige und unterstütze den Betroffenen!
  • Bleibe in Kontakt mit der betroffenen Person!
  • Achte auf die Bedenken, Ängste und Zweifel seitens des Betroffenen!
  • Höre ihm zu!
  • Zeige Anteilnahme!

Sowohl die Physiotherapeuten, Sportphysiotherapeuten, Trainer, Sportpsychologen und das soziale Umfeld können den verletzten Athleten unterstützen. Die „Hauptarbeit“ jedoch liegt beim Verletzten selbst, dieser muss erkennen, dass beispielsweise auch imagery healing ein Training darstellt, welches genauso wie die Übungen des Physiotherapeuten, von dem Verletzten konsequent und diszipliniert durchgeführt werden müssen. Ebenso ist es bei den anderen psychologischen Faktoren, es geht um Disziplin, Struktur und Planung, nur so kann der Athlet das Bestmögliche aus der schwierigen Situation herauszuholen.

Einen weiteren Artikel zu imagery Healing findet ihr hier:
http://www.peak-performance-in-sports.de/sportpsychologie/artikel/healing-imagery/

Den Link zur kompletten Studie mit Quellenangaben findet ihr hier:
http://journals.humankinetics.com/AcuCustom/Sitename/Documents/DocumentItem/8212.pdf