In ihrer Doktorarbeit mit dem Titel „Mentales Training in der orthopädischen Rehabilitation nach Knieendoprothetik“ verfasste Frau Dipl. Psych. Marie Ottilie Renkel (im Jahr 2009 unter dem Punkt 2.2 ihrer Gliederung) eine interessante Zusammenfassung der aktuell vorliegenden Wirkungsweisen des Mentalen Trainings auf die Rehabilitation von Spitzensportlern.
Egal ob Freizeitsportler oder Spitzensportler, wenn sich ein Athlet verletzt, ist dies eine bittere Pille für den Sportler. Bei Spitzensportlern, die mit diesem Sport ihren Lebensunterhalt verdienen, kann eine solche Verletzung massive Folgen haben. Belastungsreaktionen wie das Auftreten von Stresssymptomen, Selbstwertproblemen, Depr. Zustände oder Ärger bis hin Existenzängsten, können einen erheblichen Einschnitt in das Leben des Sportlers bedeuten. Deshalb ist es wichtig im Rehabilitationsprozess neben den physiotherapeutischen, trainingswissenschaftlichen und medizinischen Maßnahmen, auch die Sportpsychologie mit einzubeziehen.
Beim Mentalen Training handelt es sich um ein strukturiertes und gezieltes Vorstellungstraining ohne gleichzeitiges Ausführen körperlicher Bewegung. Bereits seit 1991 wird das Mentale Training als Rehabilitationsmaßnahme aufgeführt. Das Ziel dieser Methode war die psychische, physische und soziale Rehabilitation zu beschleunigen. Hierzu wurden im Laufe der vergangenen Jahre, Kernschwerpunkte herausgearbeitet, die Anwendung im Rehaprozess finden können.
Mayer et al. (2003) führt drei dieser vier Schwerpunkte auf. Dazu zählen die „Aufrechterhaltung der Ausführungssteuerung“, die „Motivationssteuerung“ und die „Emotions- & Schmerzbewältigung“. Im englischsprachigen Raum finden wir zudem die sogenannten „Healing Imageries“. Im Folgenden sollen diese vier Schwerpunkte kurz vorgestellt werden:
1. Aufrechterhaltung der Ausführungssteuerung:
Das Ziel die Bewegungsmuster und somit die Leistungsfähigkeit des verletzten Athleten aufrechtzuerhalten, wird oft als primäres Anliegen des Mentalen Trainings im Rehaprozess angesehen. Bei dieser Art des Visualisierungstrainings geht es darum, das Trainieren von Bewegungen, ohne die tatsächliche körperliche Ausführung, zu gewährleisten. Hierbei wird die Bewegung im Kopf durchgegangen, ohne die verletzten Strukturen einer Belastung auszusetzen.
Der Einsatz dieser Methode reicht von leichten Übungen bis hin zu komplexen sportartspezifischen Bewegungsabläufen. Es ist empirisch belegt, dass diese Art der Bewegungsvorstellungen die Bewegungsmuster des Athleten stabilisiert (oder auch neue Bewegungsmuster geschaffen werden können), sodass der Athlet diese dann nach der Verletzung besser abrufen kann. Es kommt somit zur Optimierung der Bewegungsmuster, was dem Athleten dabei hilft, weniger Angst vor Leistungsabfall und Wiederverletzungen zu entwickeln und stattdessen das Selbstvertrauen und das Wohlbefinden des Sportlers steigert (dadurch, dass er trainieren kann und nicht „hilflos ausgeliefert“ ist). Dies geht mit einer kürzeren Genesungszeit einher (Morris et al, 2005).
2. Motivationssteuerung:
Durch das oben genannte Vorstellungstraining von Bewegungsabläufen kann der verletzte Sportler seinen Leistungsabfall minimieren und somit weiterhin ein Training absolvieren. Seine Kompetenzerwartung wird also stabiler bleiben. Dies wirkt laut Untersuchungen aus den Jahren 1991-1993 besonders motivierend (Hermann & Eberspächer, 1994).
Durch die Einbindung des Patienten in den Rehaprozess und das Herausarbeiten seiner Mitverantwortlichkeit kann seine Motivation zusätzlich gestärkt werden. Das Einsetzen einer Reha-Verlaufsplanung und das Erstellen von Zielbildern, kann die Motivation des Athleten weiter fördern, wenn dieser sein Commitment zu diesen Plänen gibt.
3. Emotions- & Schmerzbewältigung:
Durch eine Verletzung können schwere Ängste und Unsicherheiten entstehen. Sei es die Angst vor spezifischen Situationen im Sport, die Angst generell im Leistungssport nicht mehr Fuß fassen zu können, bis hin zur Existenzangst eines Profisportlers, der vorher mit der Ausübung seines Sports seinen Lebensunterhalt verdient hat. Durch das kontrollierte geistige Durchspielen verschiedener Situationen können diese Ängste teilweise abgebaut oder zumindest in Bezug zur Realität gebracht werden. Beispielsweise kann ein wiederholtes gezieltes Vorstellen der Zweikampfsituation (in der die Verletzung aufgetreten ist) mit positivem Ausgang, die Ängste, erneut in einer solchen Situation eine Verletzung zu erleiden, verringern.
Im Training des Schmerzmanagements werden drei verschiedene Techniken vorgestellt:
Pain Acknowledgement: Der Schmerz wird dem Sportler zugänglich gemacht, indem er Ort, Größe, Farbe, Form und Bewegung zugeordnet bekommt.
Dramatized Coping: Der Schmerz wird einem neuen Kontext zugeordnet.
Pleasant Imaginings: Der Fokus wandert vom Schmerz weg und wird in ein angenehmes Szenario transferiert. Dies führt zu einer Abnahme der Aktivität des sympathischen Nervensystems und somit zur Abnahme des Muskeltonus. Dies setzt dann wiederum die Übertragung der Schmerzimpulse herab (Heil, 1993).
4. Healing Imagery:
Das Healing Imagery beschreibt eine gezielte Heilungsvorstellung von Seiten des verletzten Sportlers (Morris et al., 2005; Levleva & Orlick, 1993). Durch das lebhafte Visualisieren des Heilungsprozesses soll der Heilungsverlauf beschleunigt werden. Hierdurch entsteht ein erhöhtes Vertrauen in den Rehaprozess, Stressreduktion und ein effizienteres Schmerzmanagement. Außerhalb der Physiotherapie soll diese Art der Visualisierungstechnik auch schon erfolgreich in der Bekämpfung von Krebserkrankungen eingesetzt worden sein (Simonton et al., 1996). Allerdings fehlt hierzu bislang noch eine empirisch abgesicherte Evidenz.
Mehr zur Healing Imagery findet ihr hier:
Die Sportpsychologie und insbesondere deren Methode des Mentalen Trainings birgt für den Erfolg des Rehaprozesses ein enormes Potential und sollte auch in der Sportphysiotherapie Berücksichtigung finden, da der Sportler dort die meiste Zeit des Rehaprozesses verbringt. Der Sportphysiotherapeut kann also nicht nur durch eine erfolgreichen Beziehungsgestaltung zum verletzten Athleten die Rehabilitation verbessern, sondern auch durch das gezielte Einsetzen von mentalen Trainingsmethoden. Eine fachmännische Zusammenarbeit zwischen Sportphysiotherapeuten und Sportpsychologen kann, vor allem in Vereinen, gewinnbringend eingesetzt werden.
Die komplette Doktorarbeit von Frau Dipl. Psych. Marie Ottilie Renkel und die Quellennachweise findet ihr Hier