Wir möchten mit einem Originalzitat von May Arna Risberg (et al.) starten:
„We like to think that we are successful in the treatment of individuals with anterior cruciate ligament (ACL) injury, but recent literature reveals that only 60% return to sport, and more than 50% develop knee osteoarthritis by middle age.“
Durchaus ernüchternde Zahlen – die freilich jede/r von uns mit der eigenen Erfahrung abgleichen sollte.
Der Artikel von Risberg et al. „We need to implement current evidence in early rehabilitation programs to improve long-term outcome after ACL-injury“ veröffentlicht in der Septemberausgabe 2016 des JSPT – Rubrik „Viewpoint“ (Volume 46 / Number 9 / 710-713) darf in jedem Fall als Aufruf verstanden werden die gängigen Behandlungsmodelle gründlich zu überdenken.
Die Autorinnen fokussieren dabei das Thema „Osteoarthritis“(OA). Neben den vorgenannten Ergebnissen zeigen neuere Untersuchungen, dass 57% jener Patientengruppe, die eine kombinierte Verletzung aufweisen, wie beispielsweise vorderes Kreuzband und Meniskus (zeitgleich oder nachfolgend) innerhalb von 20 Jahren deutliche Arthrosezeichen entwickeln (Altersdurchschnitt 45). Im Gegensatz dazu sind es nur 16% bei denjenigen mit isolierter Kreuzbandverletzung. Die Forderung von Risberg et al.: Sekundärprävention – also Zusatzverletzung vermeiden!
Dazu gehört auch folgende Feststellung: All jene, die einen hohen BMI (body-mass-index) aufweisen, inaktiv sind und deren Quadricepsmuskeln schwach sind, weisen ein signifikant höheres Risiko auf OA zu entwickeln. Dies soll heißen, dass die Sekundärprävention sich genau mit diesen Risikofaktoren, weil modifizierbar, auseinandersetzen muss. Daran schließt sich die deutliche Forderung von Risberg et al. an, verfügbare Evidenz in Behandlungsstrategien zu implementieren um das Arthroserisiko nachhaltig abzusenken.
Die Autorinnen weisen darauf hin, dass neben der regulär verlaufenden Therapie nach VKB-Verletzungen (1 Jahr), die Betroffenen (gerade junge Sportler) mit einem Langzeit-Präventions-Programm versorgt werden sollten. Des weiteren sollten entsprechende funktionelle Testbatterien den Therapieverlauf begleiten und helfen den Wiedereingliederungsprozess in den Sport besser zu steuern.
In ihrem Verständnis sollte das Management von ACL-Verletzungen folgendes umfassen: präoperative wie postoperative Rehabilitation und eine allgemeine Aufklärung zu Risiken und präventiven Maßnahmen gekoppelt mit entsprechendem Monitoring und Belastungsmanagment.
Die nachfolgende Übersicht zeigt welche Strategien neben dem bekannten postoperativen Rehabilitationsprocedere beachtet werden sollten.
1) Information und Aufklärung der Patienten – Einbindung der Betroffenen in den Gesamtprozess:
- Erwartungen formulieren und Ziele festlegen
- Gemeinsame Entscheidungsfindung im Hinblick auf Behandlungen
- Über Wiederverletzungsrisiken informieren (Stichwort Dysfunktion und „high-level-pivoting Sports“)
- Über Langzeit-Ergebnisse informieren und Präventionsstrategien darstellen (Stichwort normale Kniefunktion und normaler BMI)
- Empfehlungen beachten und ernst nehmen
2) „Prehabilitations-Programme“ – Präoperative Übungsprogramme
- Reduktion der Schwellung und normales Bewegungsausmaß herstellen
- Neuromuskuläre Übungen (Bewegungskontrolle)
- Verbesserung der Muskelkraft und Funktion
3) Monitoring und Steuerung des Reha-Prozesses und des Wiedereinstiegs in den Sport
- Muskelkrafttestergebnisse größer 90% im Vergleich zur nicht verletzten Seite (LSI)
- Einbeinsprung-Tests größer 90% im LSI
- Normale Werte in den Gesundheitsfragebögen: KOOS oder IKDC
- Absolvierung von sportspezifischen Tests
(redaktionelle Anmerkung: es bleibt die Frage ob 90% als Orientierung im LSI ausreichend sind um von einer wiederhergestellten Kniefunktion zu sprechen und welche Testbatterien im RTS-Procedere die aussagekräftigsten sind. Zudem würde uns ein kurzer psychologischer Fragebogen noch wertvoll erscheinen)
Abschließend und zusammenfassend stellen Risberg et al. fest, dass wir aufgrund der Datenlage gefordert sind unsere Behandlungsstrategien zu verbessern: evidenzbasierte Rehabilitation nach Verletzung (bzw. eventuell nach Operation), welches auch ein „Prehabilitations-Programm“ inkludiert und im weiteren Verlauf objektive Tests zur optimalen Steuerung der Interventionen und des Wiedereinstiegs in den Sport einsetzt.
Sekundärpräventive Maßnahmen rund um die modifizierbaren Risikofaktoren sind schon während des Rehaverlaufes zu implementieren – BMI auf Normalmaß halten und die Quadricepsfunktion optimieren (Kraft und Bewegungskontrolle) – auch eine verzögerte Rückkehr in Sportarten mit sehr hoher Kniebelastung (Stichwort „pivoting“) ist in Erwägung zu ziehen!
In diesem Sinne: viel Lesevergnügen und Durchhaltevermögen beim Umsetzen obiger Empfehlungen – alle Beteiligten sind gefordert!
Für das Team der spt-education
Gerald