Rückenschmerzen – ein kognitiv-funktioneller Ansatz

„A TARGETED COGNITIVE FUNCTIONAL APPROACH FOR THE MANAGAMENT OF BACK PAIN “ – also ein zielgerichteter kognitiv-funktioneller Ansatz im Management von Rückenschmerzen. Schon der Titel des Artikels, der in der letzten Ausgabe des „Aspetar Sports Medicine Journal“ zu finden war, unterstreicht den Paradigmenwechsel im Umgang mit (vor allem lumbalen) Rückenproblemen.

Peter O´Sullivan – einer jener Experten die sich seit Jahrzehnten mit der Thematik auseinandersetzen um nach neuen nachhaltigen Lösungsansätzen zu suchen – zeigt hier einmal mehr wie wichtig ein multidimensionales Herangehen an die Problemstellung ist.

So „multidimensional“ wie eben auch die Faktoren sind, die zu „persistant back pain“ (PBP) führen können: pathoanatomisch, physisch, psychologisch, sozial, kognitiv, neurophysiologisch, genetisch usw. Interessanterweise können bei 85-90% der von lumbalen Rückenschmerzen Betroffenen keine definitiven pathoanatomischen Diagnosen gestellt werden. Nur in 1-2% der Fälle zeigen sich sogenannte „Red-Flag“ Situationen wie Tumore, Frakturen oder Nervenkompressionen. Immer wieder lösen folgende Feststellungen Erstaunen aus: untersucht man die „schmerzfreie Population“ findet man bei 91% Bandscheibendegenerationen, bei 56% Bandscheibenvorwölbungen, bei 32% Bandscheibenvorfälle und bei 38% Einrisse im Faserring.  

Hier kommt auch schon der erste Hinweis des Autors, dass eine schon frühzeitig bei geringen Problemen eingesetzte bildgebende Diagnostik bei Patienten Reaktionen wie Angst oder Vermeidungsverhalten hervorrufen kann und damit negative Auswirkungen auf den Heilungsverlauf vorprogrammiert sind. Physisch extrinsische Faktoren wie etwa wiederholte Belastung der Wirbelsäule vor allem, wie im Sport (Training, Wettkampf) häufig vorkommend, in gekoppelter Rotation-Seitneigung der Wirbelsäule stellen ein Problem dar. Dabei wird noch unterschieden in Sportarten, die zusätzlich eher die Flexions- (zB Rudern) oder die Extensionkomponente (z.B. Tennis) beanspruchen.

Als wichtiger intrinsisch physischer Faktor wird die Veränderung der motorischen Kontrolle gewertet. O´Sullivan merkt an, dass PBP-Patienten eher zu einer gesteigerten permanenten Co-Aktivierung der Rumpfmuskeln neigen und gleichzeitig über die „Feed-forward“-Schleife verfrühte Voraktivierungsmuster der Bauchwand zeigen – was wiederum den Problemkreislauf unterhalten kann. Das ist aber kein stereotypisches Muster – manchmal finden sich auch Betroffene die entweder eine aktive Extensions- oder Flexionsposition der lumbalen Wirbelsäule einnehmen. Dekonditionierung oder muskuläres Ungleichgewicht kann zu ungünstigen Situationen führen. Beispielsweise kommt es bei abgeschwächter Gesäßmuskulatur zu einer verstärkten Rumpf-Seitverlagerung im Einbeinstand was letztlich zu einer erhöhten Belastung der Wirbelsäule führt. Es gibt auch Evidenz dafür, dass sich verändertes Bewegungsverhalten auch im zentralen Nervensystem (neurophysiologische Faktoren ) widerspiegelt – „the brain´s representation of the body“.

Weitere wichtige Faktoren – die zunehmend mehr ins Rampenlicht rücken sind:

Der „Lebensstil“ – so ist beispielsweise Stress als Risikofaktor für PBP zu werten.

Kognitive Faktoren wie „negative Glaubenssätze“ oder Angst vor Bewegung und Aktivität verstärken schmerzabhängige Bewegungseinschränkungen.

Emotionale Faktoren wie Stress-Sensitivität, Depression, Ärger etc. haben unterhaltenden oder die Problematik wieder anstoßenden Charakter.

Soziale Faktoren wie sportliche Anforderungen, Erwartungen der Trainer, kulturelle Kontexte haben Einfluss auf das Schmerzverhalten, Bewältigungsstrategien und Anfälligkeit. 

Auch genetische Faktoren haben Einfluss auf die Gesamtsituation.

Zusammenfassend scheint es in der Diagnosestellung und Klassifikation von PBP nötig ein multidimensionales Herangehen zu suchen, flankiert und geleitet vom „Clinical-Reasoning-Prozess“ der auf der individuellen Patientengeschichte basiert und Screening-Fragebögen sowie klinische Untersuchungen zum Einsatz bringt.

Münden soll dieses Vorgehen in ein zielgerichtetes kongnitiv funktionelles Intervenieren. Es gibt mehr und mehr Evidenz dafür, dass Veränderungen in den modifizierbaren Glaubenssätzen und Verhaltensmustern von Patienten zu nachhaltig besseren Ergebnissen führen als nur Schmerz- und Symptombehandlungen. Begleitend sollten mit Trainingsverantwortlichen das Management von Trainingsbelastungen diskutiert werden.

„Cognitive Functional Therapy“ (CFT) ist demnach ein integrativer, personenzentrierter, zielorientierter Behandlungsansatz bei PBP der nachfolgend in ein paar Stichworten dargestellt werden soll.

Kognitive Aspekte:

–       Negative Glaubenssätze ansprechen und mit positiven Informationen zur Belastbarkeit der Wirbelsäule entgegenwirken

–       Die Epidemiologie von MRI-Befunden aufzeigen

–       Effektive patientenzentrierte Kompetenzvermittlung im Hinblick auf bio-psycho-soziale Mechanismen und deren Einfluss auf Schmerz und Dysfunktion

–       Aufzeigen von aktiven Schmerz-Bewältigungsstrategien

–       Unterstützen zielgerichteter Verhaltensveränderung in Bezug auf Stressmanagement, Schlaf, Aktivität, Ernährung etc

–       Aufmerksamkeitstraining in Zusammenhang mit Körper und Bewegung

–       Feedbacktraining

Verhaltensorientierte Aspekte:

–       Herausarbeiten von ungünstigen Bewegungsmustern und Zerlegen in Teilbewegungen, die in aufmerksamer und stressfreier Situation umgelernt werden

–       Patienten mit den „neu“ erlernten Verhaltensmustern langsam an schmerzprovozierende Aktivitäten heranführen

–       Folglich stufenweise Integration des neuen Bewegungsverhaltens in den Alltag (und Sport)

–       Zielgerichtetes Kraft- und Konditionstraining im Hinblick auf spezifische Anforderungen im Sport oder im Alltag

–       Einsatz von täglichen Aufzeichnungen und Anpassungen dort wo Coping-Strategien nicht gut umgesetzt werden

Ergänzend weist der Autor darauf hin, dass in Situation wo zentrale Schmerzmechanismen oder psychologische Faktoren dominieren die Unterstützung von medizinischen bzw. psychologischen Fachleuten gesucht werden soll. Zum Einsatz der Manual-Therapie merkt er folgendes an – manualtherapeutische Techniken stellen eine Möglichkeit dar um Zugang zur Thematik zu finden, sollten aber nicht als singulär wirksames Behandlungswerkzeug betrachtet werden. Eine kürzlich durchgeführte randomisiert kontrollierte Studie hat gezeigt, dass CFT im Vergleich zu nur physiotherapeutischen Interventionen wie Manualtherapie oder Stabilisationstraining, im Hinblick auf Schmerz- und Dysfunktionsreduktion, Schmerzintensität und Häufigkeit, Angst, verbesserte Stimmung, reduziertes Behandlungsaufkommen und Krankheits-Fehlzeiten im Langzeitvergleich deutlich besser abgeschnitten hat. Dieser komplexe Ansatz hat sich auch im Sport als wirksam gezeigt. Vielleicht auch ein mögliches generelles Herangehen bei muskuloskelettalen Beschwerden?!

Ein insgesamt spannender Artikel der aufzeigt wie komplex Behandlungsansätze sein müssen um nachhaltige Wirksamkeit zu generieren – eine sicher große Herausforderung für alle „Prozessbeteiligten“.

Also – dran bleiben!

Hier noch der Link zum Artikel:

http://www.aspetar.com/journal/upload/PDF/2015419164013.pdf

In diesem Sinne wünschen wir wie immer ein „gewinnbringendes“ Lesevergnügen,

euer Team der spt-education.